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Ewigkeit (2): Ist die katholische Lehre vom Purgatorium biblisch?

Das Purgatorium. Für die meisten Katholiken ein fester Bestandteil des christlichen Glaubens, für viele andere Christen dagegen ein großes Rätsel. Wir wollen uns gemeinsam anschauen, wie diese Lehre entstanden ist und ob sie im Einklang mit dem Wort Gottes steht.


Die mit Gemälden verzierte Decke eines Kirchengebäudes.

Was hat es mit dem Purgatorium auf sich?


Der Begriff kommt aus dem Lateinischen (purgare = reinigen) und ist im Deutschen eher unter dem Wort »Fegefeuer« (altdeutsch: vegen = reinigen, säubern) bekannt. Dadurch lässt sich bereits erkennen, um was es sich hierbei handelt: einen Reinigungsort bzw. -zustand. Nach der römisch-katholischen Auffassung ist das Fegefeuer somit "der Zustand jener, die in der Freundschaft Gottes gestorben sind, ihres ewigen Heils sicher sind, aber noch der Läuterung bedürfen, um in die himmlische Seligkeit eintreten zu können".¹


Anders ausgedrückt: Wir haben es hier mit einem Zwischenstadium nach dem Tod zu tun, in dem jene, die in einem "Zustand der Gnade verstorben sind [also Christen], die Gelegenheit erhalten, sich von der Schuld ihrer Sünde zu reinigen, bevor sie endgültig in den Himmel kommen".² Die Menschen, die an diesen Ort gelangen, sind also frei von schwerer Schuld, aber noch mit "kleineren Sünden"³ belastet und somit unvollkommen. Diese Unvollkommenheit hindert sie daran, in Gottes Gegenwart einzutreten bzw. sein Angesicht anzuschauen, weshalb sie ein "reinigendes Leiden" benötigen.


Zwar gibt es auch solche Christen, die in einem vollkommenen Zustand sterben und damit das Fegefeuer "überspringen" können. Doch die meisten Gläubigen brauchen diese jenseitige Läuterung, deren Dauer von der individuellen Bedürftigkeit abhängt, aber nicht festzulegen ist. Christen, die noch am Leben sind, können diesen »armen Seelen« im Fegefeuer Hilfe leisten, indem sie Gebete für sie sprechen, gute Werke tun, Almosen geben und Messgottesdienste halten. Auch der umstrittene Ablasshandel im Mittelalter bot eine Möglichkeit, den Aufenthalt der dortigen Menschen zu verkürzen.


Wie man sich das Fegefeuer konkret vorstellen kann, ist jedoch äußerst umstritten. Die Katholische Kirche mahnt diesbezüglich zu Zurückhaltung, sowohl, was die Details der Reinigung und des Leidens dieser Menschen als auch die Dauer dieses Zustandes anbelangt.


In der mittelalterlichen Volksfrömmigkeit wurden die kirchlichen Texte über das Jenseits allerdings als zu wenig informativ empfunden und man bildete sich seine eigenen Vorstellungen über das Fegefeuer. Den dort leidenden Seelen wurden - v.a. aufgrund von Malereien und der bildhaften Darstellung im Buch »Die göttliche Komödie« von Dante aus dem 14. Jahrhundert - Qualen zugeschrieben, wie sie auch in der Hölle existieren; allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass der Aufenthalt im Fegefeuer begrenzt sei.Tatsächlich war es deshalb die große Angst vor dem Fegefeuer - und nicht vor der Hölle, da man ja getaufter Christ sei - welche die damaligen Menschen quälte und veranlasste, sich mit den dort Leidenden durch fromme Taten zu solidarisieren.


Wenn du mit dem Katholizismus bisher nicht allzu sehr vertraut warst, findest du das Purgatorium womöglich sehr befremdlich. Gibt es denn Belege für diese Lehre?


Argument 1: Das Fegefeuer wird in der Bibel angedeutet


Damit eine Lehre »christlich« genannt werden kann, muss sie sich anhand der Heiligen Schrift des Christentums, den Texten des Alten und Neuen Testamentes, begründen lassen können. Logisch, oder? Doch wie das katholische Lexikon für Theologie und Kirche anmerkt, ist die Lehre des Purgatoriums nur "ansatzmäßig enthalten", sodass es einer späteren theologischen Entwicklung bedurfte.


In der Regel berufen sich katholische Theologen auf vier biblische Texte, um das Fegefeuer zu belegen: Das zweite Makkabäerbuch (12,41-45), das Lukasevangelium (16,19-31), den ersten Korintherbrief (3,11-15) und den Hebräerbrief (12,29).


Die Erzählung von Lazarus und dem reichen Mann im Lukasevangelium kann sich jedoch nicht auf die Vorstellung vom Fegefeuer beziehen, da hier klar ausgesagt wird, dass der arme Lazarus an einem Ort der Seligkeit und der reiche Mann an einen Ort der Strafe gekommen ist. Ein Ortswechsel ist ausgeschlossen (Lk 16,26). Und der Vers im Hebräerbrief sagt nichts über das Schicksal von Menschen aus, sondern beschreibt das Wesen Gottes.


Was ist mit den beiden übrigen Stellen? Auch die Stelle im 1. Korintherbrief greift zu kurz, wie selbst mehrere katholische Theologen der Gegenwart anmerken. Paulus spricht hier davon, dass die irdischen Werke einer Person "im Feuer geprüft" (= Bewertung von Gott, ob die jeweilige Tat eine Belohnung verdient: 1Kor 3,14-15) werden, nicht aber die Person selbst. Deshalb kommen diese - lange Zeit als Bestätigung angesehenen - Verse ebenfalls nicht in Frage, um die Existenz des Purgatoriums zu belegen.


Bleibt noch das zweite Makkabäerbuch. Dieses ist im römisch-katholischen und orthodoxen Kanon der Bibel enthalten, nicht aber in den meisten protestantischen Bibeln (abgesehen von einigen Lutherübersetzungen). Ich werde in einem anderen Artikel darauf eingehen, warum meiner Überzeugung nach vieles für die protestantische Anordnung der biblischen Bücher spricht. Jedenfalls lehnten die Reformatoren - und damit auch der Großteil der heutigen protestantischen Kirchen - das zweite Makkabäerbuch als autoritative und für den Glauben verbindliche Schrift ab.


In Kapitel 12 ist hier von den historischen Kämpfen unter Judas Makkabäus (gest. 160 v. Chr.) die Rede. Als einige seiner Männer in der Schlacht gefallen waren und man herausfand, dass sie sich am Götzendienst schuldig gemacht hatten, beteten die noch lebenden Krieger für sie (V. 42-44) und brachten Opfer dar (V. 46), damit ihre Sünden ausgelöscht würden und sie an der Auferstehung teilhaben könnten. Laut der alttestamentlichen Vorstellung würden die Gefallenen nach ihrem Tod in den Scheol (= das Totenreich) kommen, wobei einige Rabbinen tatsächlich davon ausgingen, dass es sich dabei um einen Zwischenzustand halte, an dem Gottlose bestraft werden würden.


Dieser Text kommt der Lehre vom Purgatorium also am nächsten. Und dennoch kann man einen jenseitigen Strafort, an dem Gläubige von unvergebenen Sünden gereinigt, auch von dieser Stelle nicht ableiten. Nicht zuletzt deshalb, weil die verstorbenen Männer im 2. Makkabäerbuch Götzen angebetet hatten und somit laut der katholischen Theologie nicht geläutert, sondern verdammt werden würden (vgl. Offb 21,8)


Argument 2: Das Wesen Gottes macht das Fegefeuer erforderlich


Das zweite Argument, dass katholische Theologen zur Lehre des Fegefeuers ins Feld führen, ist das Wesen Gottes. Der in der Bibel offenbarte Gott ist unfassbar heilig (Jes 6,3), also vollkommen perfekt und frei von allem Schlechten. In seiner Gegenwart wird das Böse nicht geduldet (vgl. Hab 1,13). Zwar ist Jesus am Kreuz gestorben, um uns alle Schuld zu vergeben, aber dennoch ist der Mensch dazu berufen, selbst heilig zu sein (1Thes 4,3; 1Pet 1,15). Die bittere Realität zeigt jedoch: auch als Christen haben wir immer wieder mit der eigenen Schwäche und Sündhaftigkeit zu kämpfen (vgl. Röm 7,14-25).


Das Purgatorium sei also die Lösung. Ja, ein Mensch, der sein Leben Jesus Christus anvertraut habe, werde früher oder später in Gottes himmlische Gegenwart eintreten dürfen. Doch zuvor brauche es diesen Prozess der Läuterung. Der Mensch müsse von allem verbleibenden Bösen gereinigt werden, bevor er dem heiligen Gott von Angesicht zu Angesicht begegnen könne.


Argument 3: Ansichten in der Kirchengeschichte


Während die Reformation unter dem Motto »Sola Scriptura« (allein die Schrift) stand, also die Bibel als alleinige autoritative Grundlage des Glaubens deklariert wurde, steht die Schrift in der katholischen Kirche bis heute auf einer Stufe mit der kirchlichen Tradition. Das Argument: die christliche Gemeinde gab es schon vor der Zusammenstellung der Bibel (Kirche vor Kanon) und diese sei durch den Heiligen Geist dazu befähigt, die Aussagen der Schrift richtig zu interpretieren (was v.a. auf die geistlichen Oberhäupter, Lehrer und Theologen der Kirche zutreffe).


Deshalb besitzen besonders die frühen Kirchenväter (rund 100-500 n.Chr.) eine zentrale Rolle für das Verständnis der katholischen Theologie, da diese auch eine größere zeitliche Nähe zu Jesus und den Aposteln aufweisen. Um die Lehre des Purgatoriums zu belegen, wird sich somit auch auf die Kirchenväter und die weitere theologische Entwicklung in der Kirchengeschichte berufen. Machen wir also einen kurzen Ausflug in die Geschichte:

  • Clemens von Alexandria (rund 150-215) und Origenes (rund 185-253) lehrten, dass die Verstorbenen, die keine Zeit für sog. "Bußwerke" vor ihrem Tod hatten, im kommenden Leben "durch das Feuer gereinigt" werden würden.Bei Origenes geschah dies unter Berufung auf 1Kor 3,12-15 (siehe oben). Konkreter gingen sie von einem schlafähnlichen Zustand zwischen Tod und Auferstehung aus, in dem die verstorbene Gläubige von noch offenen Sünden gereinigt würden.¹⁰

  • Tertullian (rund 155-240) kannte bereits die Praxis, für Tote zu beten und Opfer darzubringen. Er sprach von einer "zwischenzeitlichen Erfrischung" der verstorbenen Christen¹¹. Auch Cyprian von Karthago (200-258) kannte das Opfer für Tote und ging von einem realen Zwischenort für bußfertige Menschen aus, die noch nicht vollendet sind.

  • Augustinus (354-430) redete von einem Zustand, der dem Fegefeuer gleicht, aber war sich selbst unsicher darüber.¹² Jedoch betonte er die Notwendigkeit der Reinigung von begangenen Sünden, bevor man in die himmlische Freude eintreten könne.¹³

Insgesamt gab es bei den frühen Kirchenvätern viele unterschiedliche und teils widersprüchliche Ansichten über das Leben nach dem Tod. U.a. wurde sich auch auf die Worte von Jesus in Mt 5,26 und 18,34 bezogen, in denen von "Folterknechten" und einer vollständigen Abzahlung der persönlichen Schuld die Rede ist. Inzwischen werden diese Stellen als Beleg für die Sicht des Fegefeuers aber abgelehnt. Wir können erstmal festhalten: die Alte Kirche betrachtete eine "postmortale Läuterung" zwar als Tatsache; diese wurde aber stets mit dem Tag des jüngsten Gerichts in Verbindung gebracht - und nicht als Zwischenzustand betrachtet. Doch die brennende Frage nach dem Aufenthalt der bereits Verstorbenen führte zur Entwicklung der Fegefeuerlehre.


Fahren wir fort:

  • Bei Gregor dem Großen (540-604) kam die klassische Lehre des Fegefeuers zum ersten Mal richtig auf. Sein Argument baute v.a. auf Mt 12,32. Er schlussfolgerte aus dieser Stelle, dass einige Sünden erst nach dem Tod vergeben werden würden, und zwar, bevor die Person in den Himmel kommen könne.¹⁴

  • Der zweite große Kirchenlehrer der katholischen Kirche (neben Augustinus), Thomas von Aquin (1225-1274), verortete das Purgatorium ebenso wie die Hölle im Mittelpunkt der Erde. Er betrachtete es also als einen real existierenden Ort mit einem übernatürlichen Feuer darin, das die menschlichen "Seelen durch echte Schmerzen von ihren Vergehen reinigt".¹⁵

  • Das 1. Konzil von Lyon (1245) führte das Fegefeuer als verbindliche Lehre ein. Zu diesem Zeitpunkt war es ein Streitthema zwischen der West- und Ostkirche, da letztere deutlich zurückhaltender bzgl. den Details war.¹⁶ Der Lehrtext von Papst Benedikt XII. (1336) bestätigte das Purgatorium als Zustand der Läuterung.

  • Mit der Reformation (ab 1517) fand ein großes Umdenken zur Lehre des Fegefeuers statt. Die Reformatoren wiesen sie aufgrund der fehlenden biblischen Grundlage und dem Widerspruch zur Rechtfertigung durch den Glauben ab. Somit hatte auch das Gebet für Tote keinen Platz mehr in der protestantischen Liturgie.¹⁷ Jean Calvin etwa verwarf diese Lehre als schlimme Christus-Lästerung, indem er argumentierte, dass allein das Blut von Christus eine ausreichende Sühne und Reinigung für die Sünden der Gläubigen sei.¹⁸ Auch das Anglikanische Bekenntnis aus dem 16. Jahrhundert sah im Fegefeuer (sowie weiteren katholischen Lehren) eine "eitel erdichtete Sache", die sich nicht auf das Wort Gottes gründen lasse, sondern ihm vielmehr widerspreche.¹⁹

  • Die Reaktion der römisch-katholischen Kirche auf die Reformation war das Konzil von Trient (1545-1563). Dort wurde die Existenz und Lehre des Purgatoriums neu bekräfigt, während abergläubische Vorstellungen des Volkes und Missbräuche des Ablasshandels verurteilt wurden.

  • Zuletzt wurde das Purgatorium offiziell durch das Zweite Vatikanum (1962-1965) bestätigt.

Gratuliere, wenn du bis hierhin durchgehalten hast. Ganz schön kontrovers, das Thema. Du fragst dich bestimmt, was nun richtig ist, oder? Existiert das Fegefeuer? Wir haben die Argumente der katholischen Theologie betrachtet; nun lass uns anschauen, was für die reformatorische Ablehnung dieser Lehre spricht, Jedoch ist es nicht mein Anliegen, den römischen Katholizismus einfach der Reformation gegenüberzustellen. Vielmehr muss es unser Fokus sein, die Aussagen von Jesus und den Aposteln heranzuziehen und unsere Glaubensvorstellungen darauf zu gründen.


Zu 1 und 2: Das biblische Evangelium


Wir haben festgestellt, dass der Vorstellung vom Fegefeuer die biblische Grundlage fehlt. Jene Texte, welche in der Kirchengeschichte herangezogen wurden, müssen aus den oben genannten Gründen als Belege verworfen werden. Außerdem widerspricht diese Lehre den zentralen Aussagen des Neuen Testamentes, die wir uns nun in gebotener Kürze anschauen wollen.


Zunächst einmal stimmen alle christlichen Konfessionen darin überein, dass Jesus Christus auf die Welt kam, um sündige Menschen zu erlösen und mit Gott zu versöhnen (Joh 3,16; 1Tim 1,15). Doch den meisten Christen ist das radikale Ausmaß dieser Rettungstat kaum bewusst. Wenn du dich Jesus Christus im Glauben zugewendet hast, wird von dir ausgesagt:

  • Du bist von Gott als sein Kind angenommen (Joh 1,12).

  • Deine Sünden sind vollständig vergeben (Apg 10,43; Eph 1,7) und gereinigt (Heb 1,3). Selbst die sicherlich noch unvollkommenen Jünger wurden von Jesus aufgrund ihrer Verbundenheit zu ihm als "rein" bezeichnet (Joh 13,10; 15,3-4).

  • Du wurdest aufgrund ihres Glaubens für gerecht vor Gott erklärt (Gal 2,16; Phil 3,9). Jesus wurden am Kreuz unsere Sünden angerechnet (Jes 53,4-5), damit uns die Gerechtigkeit von Jesus selbst angerechnet wird (1Kor 1,30; 2Kor 5,21).

  • Du bist mit der freien und unverdienten Gnade Gottes beschenkt (Röm 3,24; Eph 2,8-9).

  • Nichts kann dich mehr von Gott und seiner Liebe trennen (Joh 10,28-29; Röm 8,38-39). Der Vater liebt dich so, wie er Jesus selbst liebt (Joh 17,23.26).

  • Als Christus-Nachfolger bist ein »Heiliger« (Röm 1,7; 1Kor 1,2; Kol 1,2) - anders als es in der katholischen Kirche nur bei besonders vorbildlichen Gläubigen der Fall ist. Christus selbst ist deine Heiligkeit (1Kor 1,30), du bist also durch ihn und sein ein für alle Mal dargebrachtes Opfer geheiligt worden (Joh 17,19; Heb 10,10; 13,12).

  • Gott wird das, was er in deinem Leben begonnen hat, auch vollenden (Phil 1,6). Er ist in der Lage, dich tadellos und voller Freude vor sein Angesicht zu stellen (1Kor 1,8; Jud 24).

  • Jesus tritt in diesem Moment vor dem Vater für dich ein, damit seine Rettungstat in deinem Leben völlig verwirklicht wird (Heb 7,25).

All das ist deshalb wahr, weil Jesus den vollen Preis für dich bezahlt hat (vgl. Röm 5,8-10). Er hat unsere Sünden ein für alle Mal gesühnt (Heb 7,27), sodass wir mit fester Gewissheit sagen dürfen, dass sein Erlösungswerk vollkommen ausreicht. Ihm kann nichts hinzugefügt werden! Die Lehre vom Purgatorium, dass wir also eine zusätzliche Reinigung nötig haben, ist somit nicht in Einklang mit dem apostolischen Evangelium zu bringen. Vielmehr dürfen Gläubige den großen Trost und die wunderbare Hoffnung haben, dass verstorbene Christen unmittelbar in die herrliche Gegenwart des Herrn gelangen (2Kor 5,6-8; Phil 1,23).


Zudem wird im Neuen Testament kontinuierlich deutlich, dass es nur zwei Zustände eines Menschen gibt: man ist entweder "In Christus" (Röm 8,1) oder "Tot in seiner Sünde" (Eph 2,1). Entweder ein gerechtfertigtes Kind Gottes durch den Glauben an Jesus oder ein "Kind des Teufels" (Joh 8,44; 1Joh 3,8). Gott sei Dank muss Letzteres nicht so bleiben. Jesus streckt uns seine liebevollen Hände aus, damit wir aus dem Tod und der Finsternis hinein in das Leben und Licht der Gemeinschaft mit Gott kommen können (Joh 12,46; Apg 26,18; 1Pet2,9). Hingegen wird an keiner Stelle unterschieden zwischen "vollkommenen Christen" einerseits, die näher bei Gott leben und direkt nach dem Tod in seine Gegenwart eintreten dürfen, und solchen "Christen, die noch der Läuterung bedürfen" und ihre restliche Schuld im Fegefeuer büßen müssen.


Wenn das Neue Testament über die Ewigkeit spricht, dann so: all diejenigen, die Jesus Christus nachgefolgt sind, werden für immer bei ihm sein (Mt 19,28-29; Lk 23,43). Wer das versäumt hat, muss vor Gott für seine Schuld gerade stehen. Dazu im nächsten Artikel mehr. Von einem Zwischenzustand ist allerdings keine Rede.


Zu 3: Irren ist menschlich


Abschließend stellt sich noch die Frage: was fangen wir mit Aussagen der Kirchenväter an?


Erstmal bin ich ein großer Freund davon, von christlichen Theologen und Lehren zu lernen. Es geht mir also nicht darum, die kirchliche Tradition zu verwerfen und alles außerhalb der Bibel auszublenden. Dennoch müssen theologische Gebäude, Bekenntnisse und Lehraussagen mit Gottes Wort übereinstimmen und, falls notwendig, auch revidiert werden. Jesus selbst betonte, wie fatal das Unterfangen ist, menschliche Tradition hochzuhalten, wenn man damit die göttlichen Wahrheiten außer Kraft setzt oder verzerrt (Mt 15,1-9).


Fest steht auch, dass wir alle Menschen sind. Und abgesehen von den schriftlich festgehaltenen Worten der Propheten und Aposteln (2Tim 3,16; 2Pet 1,21) gibt es keinerlei Beweise dafür, dass die von Christen getroffenen Aussagen von Gottes Geist inspiriert sind. Vielmehr gilt, wie der Apostel Paulus in 1Kor 13,9.12 deutlich machte, dass alle Erkenntnis stückweise geschieht. Niemand kann für sich beanspruchen, die volle Wahrheit zu kennen. Deshalb ist es auch bedenkenswert, dass die Bibelstellen, die von den frühen Kirchenvätern als Hinweis auf eine jenseitige Läuterung betrachtet wurden, selbst von den heutigen katholischen Theologen anders verstanden werden.


Wir sollten uns meiner Meinung nach also durchaus mit unseren christlichen Vorvätern und ihren Ansichten auseinandersetzen und von ihnen lernen. Doch wie Jesus (z.B. Mt 4,1-10; 22,29-32) müssen wir immer wieder auf die überlieferten Worte der Bibel zurückkommen. Es gilt wie so oft: Prüft alles und das Gute behaltet (1Thes 5,21).


Fazit


Inzwischen gibt es kaum noch katholische Theologen, die das Purgatorium als einen physisch-räumlichen Ort ansehen. Karl Rahner geht sogar so weit, die Vorstellung vom Fegefeuer als entbehrlich zu betrachten.²⁰ Doch ich denke nicht, dass es diesbezüglich eine radikale Neuorientierung in der römisch-katholischen Kirche geben wird. Vielmehr muss sich der Einzelne - wie die Beröaner in Apg 17,11, die für ihr tägliches Forschen in der Schrift gelobt wurden - die Frage stellen: Was sagt Gottes Wort wirklich?


Antwort: Das Purgatorium widerspricht sowohl der biblischen Offenbarung als auch dem Erlösungswerk Jesu und muss daher vehement abgewiesen werden.


Nicht zuletzt möchte ich noch anmerken: unser Status als versöhnte, gerechtfertigte und geheiligte Kinder Gottes sollte uns nicht gleichgültig gegenüber unserem Lebensstil machen. Gerade, weil wir durch Christus so überaus reich beschenkt worden sind, sollten wir uns die Tatsache zu Herzen nehmen, dass ohne persönliche Heiligkeit niemand den Herrn sehen wird (Heb 12,14). Das geschieht jedoch nicht durch verzweifelte Bußwerke und Gesetzlichkeit, sondern durch die Gemeinschaft mit Jesus Christus, der uns von innern heraus verändern wird, sodass wir ein Leben zu seiner Ehre leben können (vgl. Joh 15,5).


Gott segne dich!


 

¹ Katechismus der katholischen Kirche. URL: https://www.katholisch.de/lexikon/988-fegefeuer (Stand: 02.11.2023)

² Alister E. McGrath (2020): Der Weg der christlichen Theologie. S. 662

³ In der katholischen Theologie unterscheidet man zwischen Sünden, die vom Reich Gottes ausschließen (die sieben sog. Todsünden: Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid, Faulheit), sofern sie nicht bereut und vergeben worden sind, und solchen Sünden, die selbst gerechtfertigten Gläubigen hin und wieder widerfahren. Vgl. Karl Rahner (1986): Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 4. S. 51

⁴ Louis Berkhof (2012): Grundriss der biblischen Lehre. S. 237

⁵ Herbert Vorgrimler (2003): Religion in Geschichte und Gegenwart 4. S. 1830

⁶ Joachim Gnilka (1986): Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 4. S. 50

⁷ Herbert Vorgrimler (2003): Religion in Geschichte und Gegenwart 4. S. 1829. Das Lexikon für Theologie und Kirche stimmt darin überein, dass diese Verse wegen ihrer Bildhaftigkeit kaum auf eine Läuterung bezogen werden könnten (S. 51)

⁸ Joachim Gnilka (1986): Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 4. S. 50

⁹ Alister E. McGrath (2020): Der Weg der christlichen Theologie. S. 662

¹⁰ Jack Kilcrease (2018): Das Fegefeuer. In: Grundriss der Dogmatik.

¹¹ Ebd.

¹² Ebd.

¹³ Alister E. McGrath (2020): Der Weg der christlichen Theologie. S. 662

¹⁴ Ebd.

¹⁵ Jack Kilcrease (2018): Das Fegefeuer. In: Grundriss der Dogmatik.

¹⁶ Ebd.

¹⁷ Alister E. McGrath (2020): Der Weg der christlichen Theologie. S. 663

¹⁸ Jean Calvin (1536): Institutio des christlichen Glaubens. S. 234

¹⁹ Anglikanisches Bekenntnis (1563-71): Neununddreißig Artikel. Artikel 22

²⁰ Herbert Vorgrimler (2003): Religion in Geschichte und Gegenwart 4. S. 1830

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