Gott offenbart sich dem Menschen. Jedoch nicht einfach als bloße "höhere Macht", sondern als ein zutiefst personales Wesen. Ein Gegenüber, das uns durch und durch kennt und mit uns in Beziehung treten möchte. Damit wir diesen Gott aber kennenlernen, darf eine Sache nicht fehlen - sein Name.
Wenn heutzutage über Gott gesprochen wird, ist häufig von einer höheren Macht die Rede. Dabei bekommt man aber oft den Eindruck, es handle sich um ein unpersönliches, weder an der Welt noch an mir interessiertes Wesen bzw. lediglich eine metaphysische Kraft. Die biblische Vorstellung von Gott ist jedoch eine ganz andere. Bei diesem Gott, der sich von Adam und Eva über Mose und die Israeliten bis hin zu den Aposteln im Neuen Testament offenbart hat (und es dadurch auch bis heute tut), haben wir es mit einer Person zu tun. Also einem Gegenüber mit zahlreichen Emotionen, Charaktereigenschaften... und sogar einem Namen.
Gott stellt sich vor
Dass Gott einen Namen hat, wird vor allem in der Begegnung mit Mose deutlich (2. Mose 3). Als dieser noch als Schafhirte seines Schwiegervaters arbeitete, kam es an einem gewissen Berg namens Horeb zu einer lebensverändernden Begegnung mit dem lebendigen Gott. Vielleicht hast du von schonmal etwas von dem brennenden Dornbusch gehört? Über genau diese Geschichte sprechen wir. Mose konnte seinen Augen nicht trauen, als er sah, wie ein Busch zwar in Brand steckte, aber nicht verbrannte. Und plötzlich hörte er die Stimme Gottes, die mitten aus dem Feuer seinen Namen rief: Mose, Mose!
Mose antwortet und erfährt daraufhin, dass er es gerade in der Gegenwart des Gottes seiner Vorväter - Abraham, Isaak und Jakob - steht. Diese drei Männer hatten einiges mit Gott erlebt und die große Verheißung erhalten, von Gott mit einem großen Volk und einem wunderbaren Land gesegnet zu werden (1. Mose 12,1-3; 26,4). Einige Generationen später war Israel zwar tatsächlich zu einem großen Volk geworden (2. Mose 1,7), aber weit davon entfernt, das verheißene Land Kanaan zu besitzen und zu bewohnen. Vielmehr befindet sich das Volk in ägyptischer Gefangenschaft und muss harte Zwangsarbeit verrichten (2. Mose 1,13-14). Wie so oft, wenn Menschen schweres Leid erfahren, fragen sich die Israeliten: Wo ist Gott in dieser Situation?
Hier kommt Mose ins Spiel. Gott teilt ihm in der Begegnung am Berg Horeb mit, dass er das Elend und Geschrei seines Volkes wahrnimmt und mitfühlt (2. Mose 3,7-8). Der Zeitpunkt ist gekommen, das elende Schicksal der Israeliten zum Guten zu wenden. Gott plant eine gewaltige Rettungsaktion, die unter der Führung von Mose geschehen soll. Doch Mose hält seinen Enthusiasmus in Grenzen. Er traut es sich nämlich nicht zu, vor den Pharao, den mächtigen König von Ägypten, zu treten und in Gottes Auftrag Forderungen zu stellen. Doch Gott versichert ihm: "Ich bin mit dir! Du brauchst keine Angst zu haben." (2. Mose 3,10-12)
Mose kann noch nicht lockerlassen. Er weiß, dass die Israeliten ihn fragen werden, wem er da in den Bergen denn begegnet sei. Also fragt Mose nach dem Namen Gottes, was angesichts der damaligen, stark polytheistischen Umwelt durchaus Sinn ergibt. Jeder Stamm und jede Nation hatte ihren eigenen, wenn nicht sogar mehrere Götter. Die Ägypter verehrten neben zahlreichen anderen Göttern besonders den Sonnengott Ra, während die kanaanitischen Völker etwa Baal anbeteten, den Wetter- und Fruchtbarkeitsgott. Mose will den Israeliten also mitteilen können, welchen Namen der Gott ihrer Vorfahren besitzt.
Er bekommt folgende Antwort:
Da sprach Gott zu Mose: »Ich bin, der Ich bin.« Dann sprach er: So sollst du zu den Söhnen Israel sagen: »Ich bin« hat mich zu euch gesandt. Und Gott sprach weiter zu Mose: So sollst du zu den Söhnen Israel sagen: Jahwe, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt.
Das ist mein Name in Ewigkeit, und das ist meine Benennung von Generation zu Generation.
(2. Mose 3,14-15; ELB)
JHWH - Der Name Gottes
Gott nennt Mose seinen Namen. Man könnte aber fast denken, dass es sich hier um zwei bzw. drei verschiedene Namen handelt. Tatsächlich sind der Ausdruck »Ich bin, der Ich bin« und der Name »Jahwe« aber eng miteinander verbunden. »Jahwe« lässt sich nämlich auf das hebräische Verb hajah zurückführen, das grundsätzlich »sein« bedeutet, also die Existenz beschreibt. Dieses Wort wird bei den »Ich bin«-Aussagen verwendet, wodurch Gott seinen Namen also gewissermaßen dreimal bzw. in drei verschiedenen Variationen bekanntgibt. Dazu gleich mehr.
In der von mir angeführten Elberfelder Bibelübersetzung erscheint der Gottesname Jahwe an dieser Stelle zum ersten Mal im Alten Testament. Nicht etwa, weil der Name in der Bibel eine Seltenheit ist. Ganz im Gegenteil, er kommt ganze 6.828x vor und zählt damit zu den häufigsten Wörtern der gesamten Heiligen Schrift. In Wirklichkeit taucht er das erste Mal direkt auf der zweiten Seite der Bibel auf, in 1. Mose 2,4 (ELB): "An dem Tag, als der HERR, Gott, Erde und Himmel machte...". Obwohl wir hier nirgendwo den Namen Jahwe lesen, ist genau das der Fall. Nur geben die meisten deutschen wie auch englischen Bibeln das hebräische Wort für Jahwe mit HERR (engl. LORD) wieder. Woran liegt das?
Der göttliche Name besteht im Hebräischen aus nur vier Konsonanten - J, H, W und H (somit JHWH) - die auch als Tetragramm (= vier Buchstaben) bekannt sind. In der jüdischen Praxis wurde dieser Name jedoch seit mindestens dem ersten Jahrhundert n. Chr. als zu heilig erachtet, um ausgesprochen zu werden. Man hatte Angst, den Namen Gottes zu entweihen (vgl. 2. Mose 20,7).
Damit das nicht geschah, begann man an den Stellen, wo der göttliche Name vorkam, stattdessen Herr zu lesen (hebr. Adonai). Übrigens gab es im alten hebräischen Alphabet keine Vokale, nur Konsonanten. Spätere jüdische Übersetzer fügten zu dem Gottesnamen JHWH die Vokale für das Wort Adonai, also Herr, hinzu, um zu verdeutlichen, dass man Adonai zu lesen hatte. Doch bei Christen wurden die vier Konsonanten im Laufe der Zeit mit den Vokalen zusammen ausgesprochen, wodurch sich der fälschliche - und von Juden nicht beabsichtigte - Begriff »Jehova« einbürgerte.
Die ursprüngliche, richtige Aussprache von JHWH war lange Zeit unbekannt, eben weil das alte Hebräisch keine Vokale verwendete. Inzwischen ist sich die biblische Wissenschaft jedoch weitgehend einig - aufgrund von Textforschung und dem Zeugnis der frühen Kirchengeschichte - dass der Name aller Wahrscheinlichkeit nach »Jahwe« ausgesprochen wird.
Die Bedeutung des Namens
Wie oben erwähnt, lässt sich der Gottesname von dem hebräischen Verb hajah herleiten. Neben der gewöhnlichen Bedeutung »sein« kann das Wort auch mit da sein, wirksam sein, ins Dasein bringen, bei jemandem sein übersetzt werden, je nach grammatikalischer Form. Es handelt sich dabei keineswegs um ein statisches Sein, sondern um ein dynamisches Wirken und Geschehen. Im hebräischen Denken gibt es daher kein wirkliches Sein, ohne das Dasein, ohne wirkungsvoll und nahe zu sein. Wenn Gott sich also als Jahwe offenbart, kann man daraus schließen, dass seine Existenz bzw. sein Name immer auch mit Nähe zu uns und Auswirkung auf unser Leben verbunden ist und sein soll.
Außerdem sind die Namen im Alten Testament allgemein aufs Engste mit dem Wesen und Charakter einer Person verbunden. Mit der Mitteilung eines Namens kommt man der Person nahe¹. Gott offenbart sich also Mose und damit dem Volk Israel, das von Jahwe nur durch Jahwe selbst weiß und lädt sie ein, in eine personale, lebendige Beziehung mit Gott einzutreten. Kurz: nicht nur den Namen Gottes, sondern dadurch gewissermaßen auch seine Persönlichkeit kennenzulernen.
Denn in seinem Namen kommt auch einiges über sein göttliches Wesen zum Ausdruck. »Ich bin, der Ich bin« bedeutet:
Gott ist in sich selbst existierend, d.h. er ist von nichts und niemandem abhängig und stellt für sich selbst die "unerschöpfliche Quelle des Seins und der Glückseligkeit"² dar.
Gott ist ewig und souverän.
Gott verändert sich nicht. Er wird morgen derselbe sein, der er schon immer gewesen ist (vgl. Hebräer 13,8).
Gott ist unverfügbar, der Mensch hat ihn nicht in seiner Hand.
Interessant ist dabei, dass der vollständige Name Gottes: »Ich bin, der Ich bin« oder, wie man auch übersetzen kann, »Ich werde sein, der Ich immer sein werde« eine Wiederholung aufweist (zweimal "Ich bin" bzw. "Ich werde sein). Dadurch wird den Worten besondere Intensität und Gewicht verliehen (vgl. auch 2. Mose 33,19). Gott macht seinem Volk also folgendes deutlich: "Ich bin tatsächlich der, der für euch da ist, der bereit ist, euch zu hören, wenn ihr ruft, euch zu helfen und um euretwillen einzugreifen."³ Er möchte in allen Lagen also der Ansprechpartner der Israeliten sein, zu dem sie beten und auf den sie vertrauen sollen.
Übrigens besitzt der Name Gottes absolute Autorität. Das wird besonders in den häufigen Aussagen im Alten Testament: "Ich bin Jahwe" (z.B. 2. Mose 20,2) und "So spricht Jahwe" (z.B. Jesaja 45,18) sichtbar. Dabei handelt es sich gewissermaßen um eine Unterschrift oder ein Siegel. Gott hat gesprochen und niemand kann ihm etwas erwidern. Einfach, weil Jahwe - und Jahwe allein - Gott ist (Jesaja 44,6).
Jesus: Jahwe rettet
Wenn wir uns nun dem Neuen Testament zuwenden, stellen wir etwas faszinierendes fest: Jesus verwendet an zahlreichen Stellen die griechischen Worte ego eimi, auf Deutsch: "Ich bin". Genau das sind die Worte, die von Gott in der antiken griechischen Übersetzung des Alten Testamentes, der Septuaginta, in 2. Mose 3,14 gesprochen werden. Während damit häufig auch eine bloße Selbstaussage formuliert wird (z.B. Apostelgeschichte 22,3: "Ich bin ein jüdischer Mann"), zeigt das neutestamentliche Zeugnis auf - und christliche Theologen bestätigen es - dass die Ich-bin-Aussagen von Jesus an vielen Stellen auf das »Ich bin« Gottes anspielen.
So machte Jesus in der Diskussion mit seinen jüdischen, ihn als den Messias ablehnenden Zeitgenossen folgende Aussage: "Ehe Abraham war, bin ich" (Johannes 8,58). Jesus behauptet mit diesen Worten nicht nur, bereits vor dem 2000 Jahre früher lebenden Stammesvater Abraham existiert zu haben. Tatsächlich setzt er sich hier mit JHWH, dem Gott Israels, gleich. Die Menschenmenge verstand das und wollte ihn für diese augenscheinliche Gotteslästerung steinigen.
Doch genau das ist der Fall. In Jesus Christus ist Gott selbst Mensch geworden (vgl. meinen Artikel Jesus - Gott wurde Mensch). Er ist der »Immanuel«: Gott mit uns (Matthäus 1,23). Er ist der Retter der Menschheit (Titus 2,13; vgl. Jesaja 63,9). Sein Name - Jesus bzw. Jeshua - bedeutet wortwörtlich: "Jahwe rettet" oder "Jahwe ist Rettung".
Deshalb konnte er etwa auch zu Recht behaupten: "Ich bin das Brot des Lebens." (Johannes 6,48) "Ich bin das Licht der Welt" (Johannes 8,12) "Ich bin der gute Hirte." (Johannes 10,11; vgl. Psalm 23,1) "Ich bin die Auferstehung und das Leben." (Johannes 11,25) "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben." (Johannes 14,6) und "Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende." (Offenbarung 22,13; vgl. Jesaja 44,6).
In Jesus offenbart sich Jahwe also auf ultimative Art und Weise - nicht nur den Israeliten, sondern der ganzen Welt. Und so wie Jahwe damals Mose verheißen hatte, mit ihm und seinem Volk zu sein, so verheißt Jesus allen Gläubigen:
Ich bin immer bei euch bis ans Ende der Zeit.
(Matthäus 28,20; NLB)
Ich bin ...
Gott hat sich unter vielen bedeutungsvollen Namen offenbart, etwa: »Jahwe Jireh« - Jahwe wird ersehen bzw. versorgen (1. Mose 22,14), »Jahwe Zidkenu« - Jahwe ist unsere Gerechtigkeit (Jeremia 23,6) oder auch »Jahwe Shalom« - Jahwe ist Friede (Richter 6,24). In all diesen "Titeln" hat sich Gott in seinem Wesen und Charakter offenbart und ist so den unterschiedlichen Bedürfnissen seines Volkes begegnet. In seinem Namen »Ich bin« schließt er jedoch alles andere ein. Damit überreicht Gott seinem Volk sozusagen einen Blankoscheck, der beliebig hoch ausgestellt werden kann⁴.
Brauchen wir also Leben, sagt Christus: "Ich bin das Leben" (Johannes 14,6). Brauchen wir Gerechtigkeit? Er ist unsere Gerechtigkeit (Jeremia 23,6). Mangelt es uns an Frieden? Gott ist unser Friede (Richter 6,24). Oder doch eher Weisheit, Heiligung und Erlösung? Christus ist all das (1. Korinther 1,30) und mehr. Ein Ausleger sagte treffend: "Wir müssen den ganzen weiten Bereich menschlicher Bedürfnisse kennen lernen, um von der erstaunlichen Tiefe und Fülle dieses Namens »Ich bin« eine richtige Vorstellung zu bekommen."⁵
Was immer dein Bedürfnis ist... Wer Gott kennt, darf mit David sagen:
Jahwe ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.
¹ Helmut Egelkraut (2017): Das Alte Testament. S. 207
² Matthew Henry (2015): Mose-Josua. S. 140
³ Helmut Egelkraut (2017): Das Alte Testament. S. 208
⁴ C. H. Mackintosh (2011): Die fünf Bücher Mose. S. 249
⁵ Ebd.
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